Skoliose Netzwerk Österreich

Im Gespräch mit Physiotherapeutin Mag. Marie Lienhart, B.Sc.

Im Gespräch mit Physiotherapeutin Mag. Marie Lienhart, B.Sc.

Physiotherapeutin und Osteopathin in Ausbildung – Skoliosetherapie Innsbruck

„Bewegung ist Leben“ – Moshe Feldenkrais

Zusatzausbildungen: Craniosacralen Therapie, Motorischen Strategietraining und PNF (Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation), KISS Therapie, Dreidimensionalen Skoliosetherapie nach Katharina Schroth (Ausbildung in Bad Sobernheim), sowie Osteopathie i. A.

Weiters Gastvortragende für Skoliose an der FH Gesundheit in Innsbruck und seit 2018 freiberufliche Therapeutin bei Skoliosetherapie Innsbruck.

Warum hast du dich auf Skoliose bzw. die Skoliose Therapie spezialisiert?

Bereits in meiner Ausbildung hat mich das Thema Skoliose interessiert. Eine Erkrankung bei der der Körper scheinbar aus dem Nichts, man weiß ja bis heute nicht eindeutig wodurch die Mehrheit der Skolioseerkrankungen ausgelöst werden, beschließt lieber in Kurven zu wachsen, als bloß gerade. Das fand ich einfach spannend.

Außerdem wurde uns bereits in der Ausbildung erklärt, dass es in Österreich zu wenige TherapeutInnen für Skoliose gibt. Nur ca. 3-5 % aller Menschen sind von einer sogenannten idiopathischen Skoliose betroffen, es ist also eine Nischenerkrankung und als solche wird sie an der FH nur kurz durchbesprochen. Eine fundierte Ausbildung zur Behandlung von Skoliosen würde aber den Unterrichtsrahmen der FH sprengen. Deswegen braucht es für Skoliose (wie auch für viele andere Erkrankungen) eine zusätzliche Ausbildung. Diese können PhysiotherapeutInnen nach ihrer Grundausbildung machen.

Im deutschsprachigen Raum ist die „Dreidimensionale Skoliosetherapie nach Katharina Schroth“ der „Gold-Standard“ der physiotherapeutischen Behandlung. Das bedeutet für uns TherapeutInnen eine 10-tägige Fortbildung an einer der Asklepios-Kliniken in Deutschland.

Du schreibst auf deiner Homepage „Skoliose ist ein lebenslanger Begleiter“. Ist eine Skoliose Therapie in jedem Alter und Stadium möglich?

Ja!
Eine klassisch idiopathische Skoliose geht nicht einfach weg! Sie gilt als nicht heilbar und kann sich auch im Erwachsenenalter noch kontinuierlich verschlechtern. Eine Verschlechterung geht in den meisten Fällen nicht sofort mit Schmerzen einher, sondern passiert schleichend. Darin liegt auch ein gewisses Risiko für die PatientInnen.

Ziel einer Therapie ist es immer, eine Zunahme der Skoliose bestmöglich zu verhindern und die Betroffenen dabei zu unterstützen gut damit zu leben. Das ist auch bis ins hohe Alter möglich. Meine bisher älteste Patientin ist nun 82 Jahre alt ;).

Therapierst du auch operierte Skoliosen?

Ja. Auch diese können von stabilisierenden Übungen und Weichteiltechniken, vor allem bei immer wiederkehrenden Schmerzen, profitieren.

Kommen wir zur Therapie nach Schroth. Kurz erklärt, was versteht man darunter? Wie erklärt man das einem Kind?

😀 lacht…… Ok, zuerst für die Kinder: „Also, du siehst hier (Blick auf´s Röntgen – oder ein Foto), dass deine Wirbelsäule nicht ganz gerade ist. Und weil deine Rippen ziemlich eng mit deinen Wirbelkörpern zusammenhängen, entsteht hier (wieder Blick aufs Röntgen od. Foto) ein Berg und hier ein Tal, dadurch sind die Muskeln auf dieser Seite eher stärker – und auf der anderen Seite eher schwächer. Und jetzt wollen wir, dass der Bereich hier auch noch stark wird – weil du dadurch insgesamt superstark wirst.“

Jetzt für die Erwachsenen:
„Es geht darum das muskuläre Ungleichgewicht durch Atmung und Spannung zu verbessern. Das heißt zu Beginn lernt man eine Grundkorrektur und anschließend versucht man diese möglichst effektiv in den Alltag zu übertragen.“ Mir ist ganz wichtig, dass nicht die Therapie den Alltag/das Leben bestimmt. Die Therapie soll bestmöglich in den Alltag eingebettet werden.

Man hört immer wieder, Skoliose Therapie nach Schroth ist einfach wichtig bei Skoliose. Warum eigentlich?

Es gibt viele physiotherapeutische Konzepte die AUCH Skoliose behandeln, aber gerade im deutschsprachigen Raum ist die „Dreidimensionale Skoliosetherapie nach Katharina Schroth“ das einzige Therapiekonzept, welches AUSCHLIEßLICH für die Behandlung von Skoliose entwickelt worden ist.

Es gilt als das am besten erforschte und wissenschaftlich belegte Konzept zur Behandlung einer idiopathischen Skoliose. Außerdem wurde es von seiner Gründerin in erster Linie als Hilfe zur Selbsthilfe entwickelt. Es geht darum, dass die Betroffenen eigenermächtigt werden und nicht ausschließlich von TherapeutInnen und ÄrztInnen abhängig sind.

Ich habe auch in einige andere Therapiekonzepte geschnuppert, aus den vorher genannten Gründen, ist die Therapie nach Schroth für mich immer noch Basis jeder Skoliosetherapie. Durch andere Konzepte versuche ich aber stetig mein Wissen zu erweitern.

Du bist gerade in Ausbildung zur Osteopathin. Kann man diese Behandlungsform bzw. gibt es noch weitere Therapieformen die man in die Schroth Therapie einbinden kann?

Ja. Es ist vielleicht wichtig vorauszuschicken, dass sich die verschiedenen Behandlungskonzepte allgemein in der Physiotherapie kaum ausschließen sondern hauptsächlich ergänzen oder überschneiden. Trotzdem tobt (wie überall in der Wissenschaft) immer ein Glaubenskrieg wer denn nun DIE Lösung hat.

Das Folgende gilt also für alle Problematiken – nicht nur Skoliose. Der Fokus der Osteopathie und auch jeder anderen manuellen Therapie liegt vorrangig darauf Bewegungseinschränkungen in unseren Körperstrukturen zu finden und diese dann zu beseitigen.

Nur weil Bewegung möglich ist – wird diese vom Körper aber oft nicht sofort umgesetzt und die z.B. durch Osteopathie gerade erworbene „Bewegungsfreiheit“ geht wieder verloren.

Bewegung zu schulen, stabilisieren und erhalten ist wiederum Kernkompetenz von aktiven Therapiekonzepten wie eben Schroth, PNF, Spiraldynamik, Vojta, anderen physiotherapeutischen Übungen oder auch Pilates und Yoga.

Wie gesagt, die Basis bei einer Skoliosebehandlung ist für mich immer noch die „Dreidimensionale Skoliosetherapie nach Katharina Schroth“, aber ergänzt werden sollte sie individuell abgestimmt auf die Bedürfnisse des/der Betroffenen.

Viele Therapeuten pochen auf diese Therapie und lassen keine andere Therapieform bei Skoliose gelten. Wie siehst du das?

Wie gesagt, die Therapie nach Schroth ist für mich die Basis, wenn du willst der Anfang – aber noch lange nicht das Ende 🙂

Für Kinder und auch Jugendliche ist oft aktive Bewegung motivierender als nicht immer nur „die Übungen vom Therapeuten“ zu Hause durchzuführen.

Was hältst du von therapeutischem Klettern und Hippotherapie? Ist das gut für die Wirbelsäule?

Ich halte sehr viel von therapeutischem Klettern und Hippotherapie. Gerade bei Kindern und Jugendlichen bedeutet die Diagnose Skoliose oft eine jahrelange, intensive Therapiebegleitung. Das bedeutet wir brauchen natürlich eine gewisse Vielfalt um dauerhafte Motivation zu ermöglichen. Therapeutisches Klettern und Hippotherapie sind eine perfekte Ergänzung zur ambulanten Physiotherapie.

Oft fehlt es den Betroffenen an der Motivation regelmäßig die gezeigten Übungen zu Hause weiter zu machen, auch sich regelmäßig im freien Bewegen und Sport zu machen. Wie motivierst du deine Schützlinge? Gibst
du eine Vorlage mit den Übungen deinen Patienten mit?

Tatsächlich denke ich, dass der Schlüssel zur Motivation die Eigenverantwortung ist. Das gilt v.a. ab der Pubertät. Außerdem versuche ich mit den PatientInnen nach Strategien zu suchen, wie sie die Übungen optimal im Alltag umsetzen können ohne dass der Alltag gefühlt nur aus Übungen besteht.

Eine ganz wichtige Motivation ist auch, dass man erkennt, dass eine Skoliose vor allem im Erwachsenenalter nicht immer unbedingt ein „MEHR“ an Bewegung ist. Wir sollten alle unabhängig von der Form unserer Wirbelsäule auf unseren Körper achten. Auch Menschen mit geraden Wirbelsäulen sollten lt. WHO mindestens 3-5x/Woche Bewegung machen um gesund zu bleiben. Und auch bei körperlichen Tätigkeiten braucht es oft einen entgegengesetzten sportlichen Ausgleich.

Da ich leider kein Zeichentalent bin – und versuche bei den Übungen doch individuelle Schwerpunkte zu setzen – mache ich meist Videos und Fotos. Am besten gleich mit dem Handy der/des Betroffenen.

Wie oft in der Woche sollte man die Übungen zu Hause durchführen damit es auch Sinn macht?

Es gibt Studien, die schlagen 5x/Woche mindestens 45 min. vor. Das klingt nach sehr viel und wirkt abschreckend. Genau deswegen ist das integrieren von Übungen in Alltagspositionen so unglaublich wichtig.an glaubt :-).

In welchen Abständen sollte man zur Physio?

Als Faustregel finden die ersten 4-6 Einheiten immer im Wochenrhythmus statt. In diesen Einheiten geht es darum, dass eigene Skoliosemuster zu verstehen, die Wahrnehmung zu verbessern, die ersten Korrekturübungen zu erlernen und etwaige Schmerzen zu lindern.

Anschließend kommt es darauf an, wie gut der/dem PatientIn gelingt das Gelernte umzusetzen und in den Alltag zu integrieren. Bei Kindern/Jugendlichen sind die Therapieabstände kürzer (z.B. alle 2-4 Wochen), bei den Erwachsenen eher länger (z.B. 4-8 Wochen).

Es besteht auch die Möglichkeit einer Intensivwoche. Das bietet sich vor allem für PatientInnen an die von weiter anreisen müssen. Ziel der Therapie ist es, dass die/der Betroffene ihr/sein Skoliosemuster versteht und damit umgehen kann – Hilfe zur Selbsthilfe eben.

Anschließend sollte die/der Betroffene selber nach seinen/ihren Bedürfnissen das Therapieintervall entscheiden können.

Du hast ja in Bad Sobernheim die Ausbildung zur Schroth Therapeuten absolviert? Hast auch einen Einblick in den Ablauf der Reha-Klinik bekommen und verfolgen können, wie der Tag eines Skoliose Patienten aussieht.

Würdest du einen Reha-Aufenthalt in Bad Sobernheim Skoliose Betroffenen empfehlen bzw. wie stehst du dazu? Reha ja oder nein?

In Bad Sobernheim liegt der Fokus vor allem auf Gruppentherapie. Es gibt sowohl vormittags als auch nachmittags Therapieblöcke. Dadurch ist der Aufenthalt sehr intensiv und auch effektiv.

Gerade Kinder und Jugendliche lernen gerne in der Peer-Gruppe und können in der sozialen Interaktion einen ganz anderen Umgang mit der Erkrankung lernen. Es tut immer gut zu erkennen, nicht allein zu sein und dass das Korsett auch mit Stolz getragen werden kann.

Aber auch erwachsene EinzelkämpferInnen profitieren vom Austausch und einer maßgeschneiderten Therapie in einer solchen Intensität – auch wenn sie fordernd ist.

Wie stehst du zur Korsettversorgung und zu Skoliose Operationen?

Lieber zu früh ein Korsett als zu spät. Lieber eine OP als ein Leben lang unglücklich in seinem Körper zu sein oder eine Organschädigung zu riskieren. Natürlich sind aber beides sehr individuelle Entscheidungen und gerade die Entscheidung hinsichtlich der Operation eine sehr
schwierige.

Tatsächlich bin ich sehr Pro-Korsett. Die Entwicklung der Korsettqualität in den letzten Jahren hinsichtlich Korrektur und Tragekomfort ist beispiellos und hat dadurch viel von ihrem früheren Schrecken verloren.Auch gibt es Studien die die Effektivität von Korsett und Schroth-Therapie zur Eindämmung der Skolioseentwicklung eindeutig belegen.

Ich persönlich finde Früherkennung sehr wichtig. Oft hört man von Ärzten aber auch in der Familie „Das wächst sich schon aus“ oder „Das ist eh noch nicht so schlimm, dass wird schon wieder“ usw… Wie siehst du diese Thematik?

Schwierig. Eine tatsächliche Skoliose wächst sich nämlich nicht aus. Sie wird vielleicht nicht so schlimm. Wie gesagt ca. 3-5 % aller Menschen haben eine Skoliose – nur ein 1% davon ist aggressiv und behandlungswürdig – aber wir wissen einfach zu Beginn der Entwicklung nicht wer zu diesem 1% gehört.

Es ist nicht möglich die Entwicklung einer Skoliose während des Wachstums mit Gewissheit vorauszusehen. Deswegen ist es unser Ziel PatientInnen bis zum Ende des Wachstums mittels Physiotherapie und ev. Korsett mit einem möglichst niedrigen Cobbwinkel (im Idealfall unter >30° Cobbwinkel) zu stabilisieren. Es gibt Studien die belegen, dass ein höherer Cobb-Winkel im Alter zu einer höheren Progredienz der Skoliose und damit eben zu Folgeproblemen führt.

Deswegen ist das Credo: lieber einmal früher und mehr Therapie als zu spät und zu wenig. Spricht man mit ÄrztInnen die auf Skoliose spezialisiert sind – sehen die das ähnlich.

Ich finde, dass es für Betroffene sehr schwierig ist in Österreich ein qualitatives Angebot in Bezug auf Umgang, Therapie und Informationen rund um das Thema Skoliose zu finden. Es ist wichtig, dass Skoliose-Betroffene (auch operiert!) eine spezifische und kompetente Behandlung, Betreuung und Information in Österreich erhalten.

Wie siehst du das? Was findest du fehlt in Österreich im Hinblick auf Skoliose Behandlungen?

Ich sehe das wie du. Tatsächlich ist Skoliose als Erkrankung sowie ihre
Behandlungsmöglichkeiten immer noch sehr unbekannt. Deswegen finde ich dein Netzwerk und dein Engagement in den Medien sehr wichtig.

Erst wenn etwas bekannt ist, ändert sich das Bewusstsein beim Fachpersonal und die Betroffenen erhalten ein umfassendes Theraphieangebot.

Was hältst du von Alternativ Medizin, geistige Aufrichtung oder auch den Neuro Socken…?

🙂 Alternativmedizin ist ein sehr großer Bereich und hier bestimmt nicht über einen Kamm zu scheren. Auch die Osteopathie behauptet sich erst langsam über Studien in der Schulmedizin. Zur geistigen Aufrichtung und den Neurosocken kenne ich aber keine qualifizierten Studien und kann sie daher auch nicht empfehlen. Ich möchte auch anmerken, dass ich bei proklamierten Wunderheilungen immer sehr vorsichtig wäre.

Was gibst du Skoliose Betroffenen auf dem Weg mit? Ratschläge, Tipps, Motivierender Spruch …. What ever 🙂

Vergiss nie, dass du toll und einzigartig bist. „Gerade“ kann jeder, „Kurven“ nur wenige Auserwählte.


Danke für das Interview liebe Frau Mag.a Astrid Marie Lienhart!

https://www.skoliose-therapie.tirol/

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