Skoliose Netzwerk Österreich

Im Gespräch mit Physiotherapeutin Susanna Brauner

Im Gespräch mit Physiotherapeutin Susanna Brauner
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Warum Physiotherapeutin?

Die Entscheidung Physiotherapeutin zu werden, ist langsam Schritt für Schritt entstanden. Ich kam aus der Hotellerie und sah, dass dieser Beruf für mich keine Zukunft bot. Da ich mich in dieser Zeit privat viel mit Fitness und Ernährung befasste, absolvierte ich Ausbildungen in der Fitnessbranche. In meiner Arbeit als Fitnesstrainerin merkte ich aber schnell, dass ich an meine fachlichen Grenzen kam, wenn KundInnen z.B. Verletzungen oder Schmerzen hatten. Daher entschloss ich mich die Ausbildung zur Physiotherapeutin zu beginnen. In diesem Beruf gibt es sehr viele unterschiedliche Spezialgebiete, die oft nur wenig bekannt sind. Viele davon habe ich gemacht, weil ich bemerkte, dass mir bei der Betreuung von PatientInnen in einem Bereich Spezialwissen fehlte.

Warum hast du dich auch auf die Skoliose Therapie spezialisiert?

In meiner Arbeit in einer physikalischen Facharztordination lernte ich viele PatientInnen kennen, die als Haupt- oder Nebendiagnose Skoliose hatten. Ich habe zuerst einen Wochenendkurs dazu besucht, durch den ich die PatientInnen deutlich gezielter behandeln und anleiten konnte.

Da immer mehr KundInnen speziell nach Schroth fragten und mich das Thema und die Therapie der Skoliose sehr interessiert, habe ich mich entschlossen,  die gesamte Schroth-Ausbildung in Bad Sobernheim zu absolvieren. Hier habe ich wirklich sehr praktisches und umfangreiches Wissen für dieses Spezialgebiet erworben. Skoliose ist eine Erkrankung, die doch (in leichter oder stärkerer Ausprägung) sehr viele Menschen betrifft und ich freue mich, dass ich dafür spezifische Therapiemöglichkeiten anbieten kann.

Ich bin aber nicht nur auf Skoliosen spezialisiert. Ich liebe die Arbeit als Physiotherapeutin gerade deshalb, weil es sehr unterschiedliche Gebiete und Krankheitsbilder gibt. Ich mag die Abwechslung und möchte meine PatientInnen auch mit meinem breiten Wissen und meiner Erfahrung unterstützen. Auch ein Mensch mit Skoliose kann sich den Knöchel verstauchen und kann Parkinson entwickeln… auch in diesen Fällen bin ich dann die richtige Therapeutin. 🙂

Atemphysiotherapie – Das war schon mal Thema bei einem unserer Skoliose Treffen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Die Atmung funktioniert u.a. auch durch Muskeln. Das Zwerchfell ist ein Hauptmuskel für die Einatmung. Ist dieser geschwächt (z.B. weil man auf einer Intensivstation beatmet wurde oder weil er durch mechanischen Druck verletzt wurde oder weil der zuständige Nerv beschädigt wurde,…) wird er durch Widerstand gegen die Einatmung (dazu verwendet man spezielle Geräte) gekräftigt. Das gleiche gilt für die Ausatemmuskeln (z.B. die Bauchmuskeln).

Da sich die Atemmuskeln am Rumpf befinden, haben sie keine gute Ausgangssituation für ihre Arbeit, wenn der Brustkorb oder die Wirbelsäule keine physiologische Form aufweisen. Dann arbeitet man in der Atemphysiotherapie nicht nur an der Kräftigung sondern auch an der Haltung und an der Beweglichkeit des Rumpfes. Das betrifft nicht nur die Skoliose, sondern auch allgemeine Haltungsschwächen, Morbus Bechterew, Schonhaltungen nach Operationen am Rumpf,… Hier gibt es ganz viele Varianten an Behandlungen von einer klassischen aktiven Haltungsschulung über Entspannungstechniken bis zu manualtherapeutischen Techniken.

Du schreibst auf deiner Homepage über Stabilität und Kraft für die Körpermitte. Bietest auch Wirbelsäulenturnen in der Gruppe an. In der Gruppe turnen, finde ich persönlich immer sehr motivierend. Können auch Skoliose Betroffene daran teilnehmen?

Das Training für die Wirbelsäule ist in meinem Fall für eine präventive Gruppe vorgesehen. Das heißt, es ist grundsätzlich für gesunde Menschen gedacht. Bei einer Skoliose (vor allem wenn sie deutlich ausgeprägt ist und vielleicht sogar Schmerzen verursacht) ist Einzeltherapie sinnvoller, da ich genauer auf die eigentlichen Ursachen eingehen kann. Bei geringen Skoliosen und gutem Befinden spricht aus meiner Sicht aber nichts dagegen, diese Gruppentherapie-Einheiten zu besuchen.

Bietest du auch spezielles Skolioseturnen in der Gruppe an?

Schroth-Therapie kann sehr gut in Gruppen vermittelt werden. Um dafür eine Gruppe anzubieten, braucht es mehrere Menschen mit der gleichen Hauptkrümmung (z.B. Lendenskoliose oder Thoraxskoliose), die auch noch zur gleichen Zeit kommen können. Dazu ist mein Betrieb (Einpersonenunternehmen) zu klein und ich habe zu wenige KlientInnen mit der gleichen Diagnose. Sollte ich ausreichend passende PatientInnen haben, biete ich aber in Zukunft die Therapie gerne in Gruppenform an.

Damit der Bewegungshunger auch zuhause gestillt werden kann, versorgst du die Menschen jede Woche mit neuen Mitmach-Bewegungs-Videos. Finde ich eine tolle Idee. Wie bist du auf diese Idee gekommen und wie kann man sich so ein Video vorstellen?

Nach der Absage der Wirbelsäulengruppe wegen der Corona-Maßnahmen haben mich mehrere TeilnehmerInnen gefragt, ob ich online etwas anbieten könnte, da sie gerade jetzt großen Bedarf an Übungen hätten. Ich habe mich selber gefilmt während ich Übungen ausführte und diese erklärte. Im Grunde leite ich alle Übungen genauso an, als würde ich die Gruppe real vor mir haben. Aufgrund von Kundenfeedback habe ich mehrere kürzere Videos gemacht, da das meist als motivierender empfunden wird als eine 50 Minuten-Einheit.

Kommen wir zurück zur Skoliose Therapie …. Kurz erklärt, was versteht man unter der Dreidimensionalen Skoliose Therapie nach Katharina Schroth?

In der Schroth-Therapie gibt es ein Block-Modell, das der besseren Darstellung und des Verständnisses dient. Die Wirbelsäule wird in 4 Blöcke unterteilt. Ein Block ist seitlich verschoben und in die gleiche Richtung verdreht. Der angrenzende Block schiebt und dreht in die entgegengesetzte Richtung. Zusätzlich ist die Wirbelsäule in ihrer physiologischen doppelt S-förmigen Krümmung abgeflacht oder stärker gekrümmt. Aus den Veränderungen in diesen 3 Richtungen ergibt sich der Name „Dreidimensionale“ Skoliosetherapie.

In der Schroth-Therapie geht es vor allem darum, dass der/die PatientIn selber lernt, diese „Blöcke“ entgegen ihrem  typischen Muster „zurück zu schieben“. Es ist Hilfe zur Selbsthilfe. Aus diesem Grund spricht mich die Schroth-Therapie besonders an.

Ich finde es wichtig, sich nicht nur behandeln zu lassen, sondern zu lernen, was man selber beitragen kann. Durch viele dieser Übungen macht sich der/die PatientIn unabhängiger von ÄrztInnen und TherapeutInnen und kann eigenverantwortlich und gezielt etwas für seinen/ihren Körper, das Wohlbefinden und damit für eine verbesserte Lebensqualität tun. Ein ganz gutes Rezept zur Genesung oder Verbesserung ist die Mischung aus dem Annehmen von Hilfe bzw. Unterstützung und selber einen aktiven selbstverantwortlichen Beitrag zu leisten.

Wie erklärt man einem Kind, dass bei Skoliose das regelmäßige durchführen der Übungen zu Hause sehr wichtig ist. Eltern stehen da oft vor einer großen Herausforderung.

Ich finde es wichtig, ehrliche Worte zu finden, aber kindgerecht zu sagen, worum es geht. Angst und Drohungen (z.B. wenn du deine Übungen nicht machst, wirst du Schmerzen bekommen,…) sind selten gute Motivatoren. Es gibt hier sicher kein pauschales Rezept. Jedes Kind, jeder Erwachsene lässt sich durch andere Gründe überzeugen. Jedenfalls ist positive Motivation langfristig sinnvoller.

Da gemeinsam vieles leichter geht, ist mein Vorschlag am besten regelmäßig gemeinsam zu üben. Die Vorbildwirkung sollte nicht unterschätzt werden. Wenn die Eltern sagen, das Kind muss die Übungen machen und selber stundenlang vor dem PC sitzen, wird das nicht funktionieren….

Lieber nur wenige Übungen machen, aber dafür langfristig. Z.B. 3 -7 x in der Woche (fixe Zeiten) 10 Minuten gemeinsam in der Familie üben. Auch wenn die Eltern keine Skoliose haben, sind die Übungen (z.B. Schroth) kräftigend und meditativ und fördern die Gesundheit. Vielleicht hilft es, die ganze Therapie nicht als etwas Besonderes hervorzuheben.

„Wir machen diese Übungen, weil es deine Wirbelsäule unterstützt und uns allen gut tut. Deshalb machen wir nun täglich vor dem Abendessen 10 Minuten gemeinsame Übungen“. Wenn die Eltern verstanden haben, worum es in einer Übung geht, kann man auch spielerisch und kreativ werden. Man könnte auch im Hintergrund motivierende Musik einschalten oder nach den Übungen noch ein kurzes Spiel machen….

Man hört immer wieder, Schroth ist einfach wichtig bei Skoliose. Warum eigentlich?

Siehe auch Frage 7) Die Schroth-Therapie beinhaltet sehr gezielte Übungen, die selbständig und langfristig durchgeführt werden können. Die meisten Übungen benötigen keine besondere Ausrüstung,  sind auch für Kinder gut verständlich und werden in „Laiensprache“ erklärt.

Die Schroth-Therapie ist sehr umfangreich und doch sehr einfach und praktisch. Sie bietet spezifische Übungen für Beweglichkeit und Kräftigung, Atemübungen und ein Umlernen der Alltagshaltung. Ich möchte damit aber nicht sagen, dass es die einzige Möglichkeit ist. Wenn ein/e TherapeutIn das Hauptproblem verstanden hat, gibt es aus meiner Sicht auch viele andere Möglichkeiten und Techniken an diesem zu arbeiten.

Welche von deinen Behandlungs- bzw. Therapieformen würdest du in die Schroth Therapie mit einfließen lassen?

Es ist meine Aufgabe herauszufinden, welche Technik, welche Anleitung für einen Menschen in der aktuellen Situation am sinnvollsten und zielführendsten ist. Vieles kann ich zu Beginn in der Anamnese und aus dem Befund herausfinden, aber einiges erfahre ich erst im Laufe der Therapie.

Ich mische und variiere aus allen Techniken und Methoden, die ich kenne. Ich arbeite hier sehr intuitiv. Als Beispiel: ein Patient mit 30° Grad T-Skoliose. Er ist auf einer Seite des Brustkorbes sehr verspannt und eng. Er hat dort Schmerzen und auch beim tiefen Atmen sticht es dort, sodass er nur flach einatmet. So nun kann ich eine klassische Schroth-Übung machen z.B. Drehsitz, um das Rippental zu dehnen. Zusätzlich kann ich mit dem Fasziendistorsionsmodell nach Typaldos das Bindegewebe im Zwischenraum der Rippen entspannen. Wenn er etwas Sanftes bevorzugt, kann ich auch Kinesiotapes gegen die Verspannungen kleben oder auch einfach Wärme auflegen und eine dehnende Lagerung für zuhause vorzeigen.

An einem Tag ist jemand sehr schmerzempfindlich und ein paar Tage später möchte er gerne etwas Aktives tun. Die besten Ergebnisse erziele ich, wenn ich die richtige Technik/Übung zum richtigen Zeitpunkt passend für diesen Patienten gefunden habe und dieser gelernt hat, was er selber langfristig beitragen kann und das auch tut.

Du bietest auch Fasziendistorsionsmodell nach Stephen Typaldos D.O. an. Vielleicht kannst du kurz erklären was man darunter versteht?

Das Bindegewebe ist ein netzartiges Gewebe, das den Körper durchzieht und viele verschiedene Aufgaben und Funktionen hat (z.B. Sehnen übertragen die Kraft vom Muskel zum Knochen,…). Alles hängt zusammen und muss gut gleiten können. Gibt es hier Spannungen (z.B. durch Fehlbelastung) oder ist es verklebt (z.B. durch Narben) kann es physiologisch durch Bewegung aber auch therapeutisch durch manuelle Behandlungen gelöst und entspannt werden.

Der Arzt Typaldos hat durch Erfahrung mit Schmerzpatienten ein sehr klar verständliches Modell entwickelt, das derzeit das Erkennen und Behandeln von 6 unterschiedlichen Typen an Fasziendistorsionen (=Verdrehung des Bindegewebes) beinhaltet. Es handelt sich hier wieder um ein Modell, das nicht unbedingt mit der Anatomie übereinstimmt. Ebenso wenig wie die Wirbelsäule nicht aus 4 Blöcken (siehe Schroth-Block-Modell) besteht.

Diese Technik hat schon nach dem ersten Wochenendkurs meine Arbeit sehr positiv verändert. Warum ich diese Technik sehr gerne einsetze? Sie wirkt schnell. Da das Wichtigste in der Befundung die Gestik des/der PatientIn ist, kann diese Technik auch gut angewendet werden, wenn es sprachliche Probleme gibt.

Die Typaldos Methode kann auch in der Tierphysiotherapie z.B. an verletzten Pferden verwendet werden. Weiters finde ich den Ansatz gut: „der Patient weiß genau, wo der Schmerz ist und was er braucht“. Z.B. der Patient drückt an seinem Nacken herum, immer wieder an einer bestimmten Stelle: die Behandlung ist eine Druckbehandlung genau dort. Oder der Patient zieht an seiner Hand und die Behandlung ist eine Traktion (Zugbehandlung) im Handgelenk.

Es gibt zwar noch ein paar Details zu beachten, aber grundsätzlich kann es manchmal so einfach sein :-)!

Für Kinder und Jugendliche ist oft aktive Bewegung motivierender als nicht immer nur „die Übungen vom Therapeuten“ zu Hause durchzuführen.

Was hältst du von therapeutischem Klettern? Ist das gut für die Wirbelsäule? Hast du noch andere Ideen für „aktive Bewegung“, die für Skoliose gut wären?

Jede Bewegung ist besser als keine Bewegung. Damit Kinder und Erwachsene etwas langfristig tun, ist es wichtig, dass sie Freude/Spaß daran haben. Therapien beinhalten sinnvollerweise sehr spezifische Übungen für bzw. gegen das Hauptproblem. Wenn es für den/die PatientIn interessanter ist, den Rippenberg an einer Kletterwand zu raffen, ist das sicher zu empfehlen. Hippotherapie kenne ich zu wenig um mich dazu zu äußern.

Wahrscheinlich ist hier wieder eine Mischung sinnvoll: Freizeitsport, der Spaß macht, und ein paar gezielte therapeutische Übungen, die so angepasst sind, dass sie für den/die PatientIn interessant sind (z.B. mit Musik, mit schönen Zusatzgeräten oder weil man im besten Fall die positive Wirkung spürt (z.B. danach bin ich ruhiger, kann besser atmen,…). Eine besondere Sportart kann ich an dieser Stelle nicht erwähnen. Sie sollte vielseitig und nicht zu belastend sein.

Sollte ein Kind Leistungssport betreiben, ist das gesondert zu beurteilen, da Leistungssport oft auch für gesunde Menschen nicht gesund ist. Aber auch hier darf man nicht verallgemeinern.

Regelmäßig seine erlernten Übungen zu Hause weiter durchführen …. oft fehlt es an der Motivation. Wie motivierst du deine Patienten? Wie oft in der Woche sollte man zu Hause turnen? Gibst du deinen Patienten eine Trainingsvorlage mit?

Vorlagen für Heimübungen habe ich nicht, aber ich ermutige den/die PatientIn sich die Übungen selber aufzuschreiben oder aufzuzeichnen. Ich biete auch an, die Übungen in der letzen Einheit zu wiederholen und ich kann den/die PatientIn mit seinem/ihrem Smartphone filmen und erkläre parallel was es zu beachten gibt.

Wie auch schon bei Frage 8 beschrieben, ist es sehr unterschiedlich, was die Motivation fördert.

Grundsätzlich sollte eine Therapie doch in einem bestimmten Zeitraum abgeschlossen sein. Bei chronischen Erkrankungen kann es aber auch sinnvoll sein, die 2. oder 3. Therapieserie mit z.B. 3 Wochen Abstand zwischen den Einheiten zu planen. So kann der/die PatientIn selber üben und durch die regelmäßigen Treffen bleibt er/sie leichter dran. Außerdem können fehlerhafte Übungen schneller korrigiert werden und auch Steigerungen zum passenden Zeitpunkt hinzugefügt werden.

Weiters biete ich auch Telerehabilitation an. Diese Therapie über Videotelefonie eignet sich z.B. zur Übungskontrolle oder bei der Klärung von Fragen, ohne in die Praxis zu kommen. Dadurch können auch kurze Einheiten ohne Fahrtaufwand angeboten werden.

Bewegung ist zur Gesunderhaltung des Körpers ebenso wichtig wie Essen, Trinken und Schlafen. Auch diese Dinge können wir nicht nur am Wochenende absolvieren und dann 5 Tage nicht trinken und schlafen. Daher ist es wichtig, jeden Tag Bewegung zu machen und zwar langfristig. Wenn man wirklich langfristig etwas machen möchte, muss es sich auch zeitlich mit dem Alltag gut vereinbaren lassen. Daher z.B. täglich oder 3 x pro Woche 10 -15 min. therapeutische Übung und 1 h am Tag allgemeine Bewegung (Radfahren, Spazieren,…) zusätzlich zum normalen Bewegungsalltag. Ich zähle das Treppensteigen ins Büro nicht zur Bewegungseinheit ;-).

Diese Angaben sind meine grobe Einschätzung. Hier gibt es viele unterschiedliche Meinungen.

Würdest du einen Reha Aufenthalt empfehlen bzw. wie stehst du dazu? Reha ja oder nein?

Ich habe während der Ausbildung  2 Wochen in der Reha Klinik in Bad Sobernheim verbracht. Mein Eindruck war sehr positiv: Der kleine Ort und die Natur in der nahen Umgebung vermitteln Ferienstimmung. Die Rehaklinik erinnerte mich an ein Jugend-Ferienlager mit Beachvolleyball, Freunde treffen,… Freundliche und sehr spezialisierte TherapeutInnen und MitarbeiterInnen. Ich habe mich sofort wohlgefühlt.

Fachlich gesehen gibt es wohl keinen Ort, an dem mehr spezialisiertes Fachpersonal für Skoliose zugegen ist. Es ist eine gute Möglichkeit sich für ein paar Wochen auf das Lernen und eigene Kennenlernen zu fokussieren und viele Übungen und Tipps für den eigenen Alltag mitzunehmen, um  diese dann längerfristig anzuwenden. In dieser Einrichtung sieht der/die Betroffene auch, dass er/sie nicht alleine mit dieser Diagnose ist. Es kann sehr motivierend und bereichernd sein, sich mit anderen Jugendlichen/Eltern auszutauschen. Aus Erzählungen weiß ich, dass hier viele Freundschaften geschlossen werden und die Mädchen jedes Jahr bewusst zur gleichen Zeit die Reha antreten. Viele sind auch über WhatsApp in Verbindung, was im Alltag eine große Hilfe und Motivation sein kann.

Es ist aber dennoch individuell zu entscheiden, ob das für mein Kind eine geeignete Variante ist. Die Therapien finden in großen gemischten (m/w) Gruppen und mit möglichst wenig Kleidung statt. Die Jugendlichen sind mehrere Wochen von zuhause weg. Ich denke, dass das für schüchterne Menschen, Kinder mit Heimweh, oder Menschen, die sich aufgrund ihres körperlichen Aussehens unwohl oder unsicher (Pubertät!!) fühlen, sehr schwierig sein kann.

Grundsätzlich empfehle ich, auf jeden Fall eine Reha in Bad Sobernheim (auch regelmäßig) zu machen.

Wie stehst du zur Korsettversorgung und zu Skoliose Operationen?

Soweit ich weiß, ist das Korsett, die einzige Möglichkeit, die Verstärkung der Skoliose in den Wachstumsphasen bestmöglich zu bremsen. Daher empfehle ich, dieses auch konsequent zu tragen, wenn es indiziert ist. Hier ist wichtig, dass das Korsett gut angepasst wird.

Jede Operation (auch wenn manche Ärzte sagen „Es ist nur ein kleiner Schnitt…“ ) ist ein Eingriff in das ganze Körpersystem. Daher ist hier wichtig, Nutzen und Risiko immer gut abzuwägen: Zwei bis drei unabhängige fachliche Beratungen einholen und sich dann Zeit lassen, um zu einer guten Entscheidung zu kommen (Ausnahme: Notoperationen). Fakten abwägen, aber auch das eigene Gefühl nicht außer Acht lassen! Auch wenn die Operationen heute sehr gute Ergebnisse bringen, gibt es keine Garantie, dass es danach keine Probleme gibt. Wenn eine Entscheidung nach guter Beratung und ausreichendem Nachspüren selber getroffen wurde, kann das Ergebnis, egal wie es ausfällt, besser angenommen werden.

Nach Operationen, die bei Skoliose meist mit einer Versteifung von Teilen der Wirbelsäule einhergehen, ist es wichtig, danach Physiotherapie und passende Übungen weiterzuführen. Damit die angrenzenden (nicht-versteiften) Wirbelsegmente nicht überlastet werden, sollte hier z.B. viel Stabilität trainiert werden. Diese Übungen sind dann andere als vor der Operation, da sich die Situation im Körper danach völlig geändert hat.

Ich persönlich finde Früherkennung sehr wichtig. Oft hört man von Ärzten aber auch von der Familie „Das wächst sich schon aus“ oder „Das ist eh noch nicht so schlimm, dass wird schon wieder“ ….

Wie siehst du diese Thematik?

Je früher Veränderungen festgestellt werden, je besser. Ein junger Körper ist noch viel leichter formbar als ein älterer. Auch wenn es nur leichte Auffälligkeiten gibt, ist es wichtig, diese zu beobachten und  kontrollieren zu lassen. Vor allem in den starken Wachstumsphasen (z.B. 1,5 – 0,5 Jahre vor der ersten Regelblutung) kann sich eine leichte Skoliose sehr verschlechtern. Das soll man nicht übersehen, da es nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.

Was findest du fehlt in Österreich im Hinblick auf die Skoliose Behandlungen?

Es ist tatsächlich schwierig, weil sich viele ÄrztInnen und TherapeutInnen, obwohl sie in der Orthopädie oder in der Pädiatrie tätig sind, mit der Skoliose nicht vertiefend befasst haben.

Ich erinnere mich an meine Physiotherapie Ausbildung. Studenten haben im Fach Orthopädie nach Therapiemöglichkeiten gefragt und als Antwort erhalten, das sei eine Spezialausbildung und könne in der Grundausbildung nicht behandelt werden. Faktum ist aber, dass sehr viele Menschen leichte bis stärkere Skoliosen haben. Die einzige Ausbildungsstätte (ich denke weltweit?) für die Schroth-Ausbildung ist in Deutschland. Ich habe dadurch einige Urlaubstage benötigt und auch einige Kosten durch die Anreise und Unterkunft zusätzlich zu den Ausbildungskosten gehabt. Viele KollegInnen sind Eltern und können nicht einfach 2 Wochen wegfahren um eine Ausbildung zu machen. Daher denke ich, dass mehr Physios zu Schroth-Therapeuten würden, wenn die Ausbildung auch in Wien oder Graz z.B. an Wochenenden stattfände.

Mit der Ausbildung zur Schroth-Therpeutin unterschreibt man die AGBs, die beinhalten, dass man sein Wissen nur an SkoliosepatientInnen in einer ambulanten Praxis weitergeben darf. Somit kann hier in Österreich weder eine stationäre Rehabilitation für Schroth-Therapie noch eine Fortbildung für therapeutisches Personal stattfinden.

Da ich es wichtig finde, dass Betroffene möglichst unkompliziert zu einer guten Behandlung kommen, hoffe ich, dass die Asklepios Katharina-Schroth Klinik in Bad Sobernheim auch in Österreich (und anderen Ländern) eine Klinik und Ausbildungsmöglichkeiten schafft oder ihre AGBs verändert.

Die Zusammenarbeit und der fachliche Austausch der unterschiedlichen Berufsgruppen (Orthopädietechnik, ÄrztInnen, TherapeutInnen,…) ist sehr wichtig für das Wohl des/r PatientIn. Darum bin ich sehr dankbar, dass du, liebe Daniela, das Skoliose Netzwerk Österreich gegründet hast. Ich hoffe, ich kann von Betroffenen, von ÄrztInnen und  von KollegInnen lernen, um PatientInnen fachlich gut betreuen und auch rasch und unkompliziert zu anderen Berufsgruppen weiterleiten zu können.

Was hältst du von Alternativ Medizin, geistige Aufrichtung oder auch den Neuro Socken….?

Ich bin offen für alternative Medizin und entdecke gerne Neues. Wichtig dabei ist, das Fachwissen und den Hausverstand nicht auszuschalten. Manche Methoden können vielleicht unterstützend eingesetzt werden.

Ich kenne die „geistige Aufrichtung“ oder den „Neuro Socken“ nicht. Ich habe mich im Zug deiner Fragen aber dazu informiert. Oder es zumindest versucht 😉

Im Internet habe ich viele Wunderheilungen durch den Neuro Socken gefunden. Er hilft das Gleichgewicht zu verbessern genauso wie alte Leute plötzlich wieder gehen können. Hmmm….aktuell hat er sogar die Sonderfunktion dass er das Immunsystem optimiert und gegen Viren wirkt….

Es gibt in medizinischen Berufen eine Werbebeschränkung. Keine Heilsversprechungen, keine „Marktschreierische Werbung,…“  sondern nur sachliche Informationen sind erlaubt. Menschen mit starken Schmerzen, Ängsten, die gerade verzweifelt Hilfe suchen, sind sehr leichte Opfer. Sie können manchmal weniger klar denken und entscheiden anders als in Situationen in denen sie entspannt und angstfrei sind. Sie suchen mit einem „Tunnelblick“ nach der Heilung ihrer Krankheit/all ihrer Probleme.

Wir wünschen uns alle, dass es die „Wunderpille“ gäbe, die alle Menschen von  allen Krankheiten und Problemen dauerhaft heilt. Ich denke, das ist und bleibt Wunschdenken.

Ich habe auf der Seite www.neuro-socks.com versucht herauszufinden, wie die Neuro Socken funktionieren. Ich konnte keinerlei Angaben oder Links zu der Wirkung oder zu Studien etc. finden. Der/die LeserIn wird überladen mit vielen (nur) positiven Erfahrungsberichten. Sehr marktschreierisch aufgebaut und es gibt gleich einen Link, wenn man „Business Partner“ werden will. Das Geldverdienen steht eindeutig im Vordergrund im Gegensatz zur sachlichen Information und der Wirkungsweise des Produkts.

Im Falle der Neuro Socken passiert wahrscheinlich nichts Schlimmes außer, dass man sehr teure Socken gekauft hat. In Summe mit anderen „Allheilmitteln und HeilerInnen“ kann das aber schon sehr teuer werden.

Ich weiß, dass ich sehr vieles nicht weiß. Ich möchte keine anderen Therapieformen prinzipiell ablehnen, aber es ist wichtig, den kritischen Blick und den Hausverstand eingeschaltet zu lassen. Sollte jemand den gerade nicht haben, ist es immer hilfreich, sich grundsätzlich mehr Zeit zu lassen bevor man etwas kauft, einen Vertrag eingeht oder eine medizinische Behandlung dafür abbricht. Andere weniger emotional involvierte Menschen z.B. im Freundeskreis, können hier manchmal besser sehen (da sie gerade keinen Tunnelblick haben) und beratend unterstützen.

So, zu guter Letzt …. Was gibst du Skoliose Betroffenen mit auf den Weg? Ratschläge, Tipps, motivierenden Spruch …..

Das Perfekte existiert nicht. Unser Körper wird immer wieder krank und verletzt sein. Es wird einfacher, wenn uns das klar ist. Aber genauso steht fest, dass ich immer etwas beitragen kann und selber entscheide, was ich aus meiner aktuellen Situation mache.

Vielleicht gelingt es immer öfter mich nicht als „krank“ zu sehen sondern als „besonders“. Ich kann meinen Körper unterstützen indem ich Hilfe in Anspruch nehme, wenn mir Wissen und Können dazu fehlt (ÄrztInnen, Therapien,…). Aber vor allem kann ich meinen Körper unterstützen indem ich dieses Wissen anwende und mich selbstverantwortlich um mich kümmere.

Ich kann mich mit richtiger Ernährung gut versorgen genauso wie mit Schroth – Übungen. Es kann auch bedeuten, alte Gewohnheiten und Denkmuster abzulegen, weil sie mir nicht gut tun.

Dann kann das Wichtigste gelingen: Das geschenkte Leben zu genießen und mich anzunehmen so wie ich bin.

Foto von www.kalinkaphoto.at

Vielen lieben Dank für das tolle Interview mit dir Susanna Brauner!

Kontaktdaten PraxisSusanna Brauner Physiotherapie

Hannah-Arendt-Platz 9,
1220 Wien

0650 995 2887
physio-brauner@posteo.at

Quelle: Text: Daniela Hohenwarter und Susanna Brauner, Fotos/Bilder von www.kalinkaphoto.at, veröffentlicht am 12.05.2020;

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